"Enter" drücken, um zum Inhalt weiterzugehen

Ein Lehrstück aktueller islamophober Propaganda

muslim_girls_and_women
Neulich bin ich im Social Web über folgendes Foto gestolpert, das mit folgenden Worten untertitelt war:

WESTERN LIBERAL WOMEN: PAY ATTENTION..PLEASE! Muslim girls being lead off in chains to meet their new husbands.

Auf deutsch also in etwa:
„Aufgepasst westliche liberale Frauen: Hier werden muslimische Mädchen in Ketten ihren neuen Ehemännern zugeführt.“

Das Bild ist derzeit auf Facebook und anderswo häufig repostet. Da regt sich doch sofort Protest und Abscheu bei jedem, der über einen gesunden Menschenverstand verfügt – oder? Genau. Und die zu erwartenden Reaktionen auf die vermeintliche Unmenschlichkeit, Frauenverachtung und Missachtung des Kindeswohls im Islam finden sich unter dem Bild (hier sind es beispielhaft nur vier, es gibt auch Reposts mit mehreren Hundert Kommentaren):

muslim-facebook

Von Rechts verbreitet

Verbreitet wird das Foto übrigens mit Eifer hauptsächlich von der rechten englischsprachigen Szene. Auf Facebook u.a. von „Britain first“ (Slogan „Taking our country back“), einer rechtspopulistischen und neonazistischen Organisation, auf deren Seite eine Menge rassistischer Sprüche zu finden sind. Aus ähnlicher Dumpfheit wird die Meldung von einer ganzen, untereinander gut vernetzten Reihe weiterer Blogs aus der rechten und christlich-fundamentalen Ecke verbreitet. Alles Blogs, die vorgeben, über die wahren Ziele des Islam (=Zerstörung der westlichen Kultur) und im gleichen Atemzug noch über „Obama-Care“ (=Volksverrat) informieren zu wollen.

Wenn ein Foto und eine dazugehörige Meldung derart penetrant weiter verbreitet wird, darf man schon einmal über den Wahrheitsgehalt dieser angeblichen „Fakten“ ins Grübeln kommen.

Frauen-Protest gegen Ägyptens Militärmachthaber al-Sisi?

Das Bild begann also, mich zu interessieren.

Beim Googeln stieß ich dann auf eine (zugegeben ja, ähnlich islamfeindliche) Webseite mit dem Titel „Winds of Jihad“, die eine ganz andere Bildunterschrift zu dem obigen Foto bringt: in einem Artikel vom 10.4.14 wird beschrieben, dass die ägyptische Muslimbruderschaft nun „Frauenbrigaden“ aufstellt, um gegen die in ihren Augen ungesetzliche Entmachtung des ehemaligen Präsidenten Mursi und gegen den Militärputsch zu protestieren. Im vergangenen November verurteilte ein ägyptisches Gericht 21 weibliche Mursi-Anhänger – darunter eine Reihe von Minderjährigen – zu bis zu 11 Jahren Gefängnis, was zu einem internationalen Aufschrei führte.

Hier ein Original-Screenshot der Webseite „Winds of Jihad“:

englischsprArtikel

Islamophobe Propaganda

Von diesem Artikel aus wird eine türkische Webseite referenziert, die ebenfalls über die Frauenbrigaden in Ägypten berichtet hatte. Von daher ist der Kontext des Bildes für mich glaubwürdig im Umfeld der aktuellen Proteste in Ägypten zu suchen.

Fazit: Nimmt man all das zusammen, so zeigt das Foto der mit Ketten gefesselten verschleierten Frauen vermutlich einen Straßenprotest ägyptischer Mädchen und Frauen gegen das repressive Militärregime in Ägypten. Und eben nicht Mädchen und junge Frauen, die in Ketten zu ihren neuen Ehemännern gebracht werden.

Natürlich gibt es Zwangsverheiratung – auch sehr junger Mädchen – im traditionalistisch geprägten Islam, die ich nicht entschuldigen kann und möchte. Auch kann man zu Anhängern der Muslimbruderschaft stehen wie man will. Aber dieses Foto dazu zu verwenden, billige Vorurteile, und daraus Islamophobie zu schüren, ist einfach nur verachtenswürdig.

Beitragsbild: Adrian Korte

9 Comments

  1. Dina Ukht 13. August 2014

    Besten Dank für die Aufklärung.

    Ich muss jedoch etwas zu Ihrem letzten Satz sagen. Zwangsehen gibt es islamisch gesehen nicht. Die Frau muss immer ihr Einverständnis geben. Wovon Sie hier sprechen, kann man kulturelle Zwangsehen nennen aber nicht „traditionalistisch-islamisch“ geprägte Zwangsehen.

  2. Ensar Kuc 14. August 2014

    Um den Kommentar von Dina Ukht zu untermauern, hier noch einige Beweise:

    Abu Huraira berichtete, dass der Prophet, Allahs Segen und Friede auf ihm, sagte: „Eine Frau, deren Wiederverheiratung bevorsteht, darf nicht verheiratet werden, bis sie dies selbst zuläßt. Dagegen darf eine Jungfrau erst verheiratet werden, wenn sie zuvor nach ihrer Einwilligung gefragt wurde.“ Einige Leute fragten: „O Gesandter Allahs, wie sieht dann ihre Einwilligung aus?“ Der Prophet sagte: „Indem sie schweigt!“

    [Sahih Al-Bucharyy Nr. 5136
    ________________

    Chansa‘ Bint Chidam Al-Ansaryya* berichtete, dass sie als Thayyib ** von ihrem Vater wiederverheiratet wurde, und daß sie damit nicht einverstanden war. Sie begab sich deshalb zum Gesandten Allahs, Allahs Segen und Friede auf ihm, und er machte ihre Heirat rückgängig.(*D.h. von den Al-Ansar = Helfern = Bewohnern von Al-Madina **geschiedene oder verwitwete Frau)

    [Sahih Al-Bucharyy Nr. 5138

    Als Theologe mit Weitblick sollten Sie schon darauf achten und unterscheiden können, was religiös und was kulturell bedingt praktiziert wird.

    • Ulrich Berens 14. August 2014

      Danke für die Ergänzungen und Belege. Tatsächlich habe ich nicht differenziert zwischen religiös und kulturbedingten Praktiken, das stimmt. Aber ich habe ja auch in meinem Beitrag gar nicht theologisch argumentiert, sondern wollte nur zeigen, was mit Bildern passieren kann, wenn sie absichtlich in einen vorurteilbedienenden Kontext gestellt werden.

      • Ensar Kuc 6. März 2015

        Das ist Ihnen sehr gut gelungen. Entschuldigen Sie bitte, dass ich das falsch interpretiert habe. Es ist nur für einen praktizierenden Muslim nicht akzeptabel, wenn ein Nicht-Muslim Zwangsehe und Islam in einem Satz bringt. Wie oben aufgezählt, ist Zwangsehe im Islam verboten, unabhängig davon ob es einige Muslime trotzdem ptaktizieren.

        Islam ist nicht das was Muslime tun, sondern was sie tun sollen.

        Aber toller Artikel. Man sollte viel mehr miteinander kommunizieren, dann würden solche Methoden erst gar nicht fruchten. Ich will gar nicht wissen, was noch auf uns deutschen Muslime in nächster Zeit zukommt.

        Liebe Grüße

  3. abc 27. März 2015

    Zwischen Tradition und Islam, gibt es große Unterschiede. Nicht alles was traditionell gelebt wird, ist Islam.
    Und nicht jeder der behauptet ein Moslem zu sein, verhält sich dementsprechend. Dementsprechend ist stets ein Wort, dass sich auf Umgebung, Kultur und Erziehung bezieht. D.h. was in einer Region als normal gilt, gilt in einer anderen Region als absurd, wenn nicht gar als fanatisch. Letztlich kann man sagen, dass „Moslem“ sein, Freiheit bedeutet, als auch bedeuten muss, dass man selbst entscheidet, weil alles andere wäre ein Manipulieren bzw Eingreifen ins Schicksal. Da man aber als Moslem ans Schicksal glaubt, darf man ein Manipulieren und Eingreifen anderer in das eigene Schicksal nicht zulassen, als auch nicht in das Schicksal anderer eingreifen, womit einige Traditionen ad absurdum geführt werden und in diesem Sinne verboten sind. Gelebt wird es dennoch, was den Islam wieder verfälscht, dank weniger Menschen.

    Fazit
    Es hängt wie immer, nur vom Charakter des Menschen ab, wie er sich anderen gegenüber verhält und ob er letztlich reines Herzens vor Gott/Allah/Erhabene treten kann.

  4. Yilmaz 1. September 2015

    Das Foto hat nichts mit Mursi zu tun. Es zeigt eine Szene aus traditionellen schiitischen Prozessionsschauspielen anlässlich Ashura, des Todestags des Prophetenenkels Hussain in der Schlacht von Kerbela. Die Szene soll darstellen, wie die weiblichen Angehörigen damals von den umayyadischen Truppen abgeführt wurden.

    Ich schätze den Ort dieser Prozession auf irgendwo im Südlibanon.

    • Ulrich Berens 1. September 2015

      Danke für die Info. Ich bin bereits auf diese „Version“ aufmerksam geworden, fand aber bislang niemand, der sie bestätigt hätte.

  5. karl renz 25. März 2017

    Die Tatsache dass es Rechte und Christenfundis gibt die etwas gegen alles „Fremde“, also auch den Islam haben, bedeutet absolut nicht dass Kritik des Islam rechts und dumm ist.
    Ich hoffe Euer Köpfchen funktioniert noch ausreichend um das auf die Reihe zu kriegen. Heuet weiß man das ja nicht mehr.

    Voltaire, Diderot. Marx und viele anderer haben den Islam als Feind der Aufklärung und hasserfüllte Ideologie absolut verworfen. Hartmut Krauss, ein linker Wissenschaftler tut dies heute.

    Was Ensar Kuc hier schreibt – „der Islam ist das was die Muslime tun sollen“ ist grotesk als Entschuldigung des Islam. Denn wenn jeder Muslim täte was im Koran steht, vor allem in den medinensischen Suren, die im Zweifel die mekkanischen „abrogieren“ (da es im angeblich widerspruchsfreien Koran jede Menge Widersprüche gibt) dann gäbe es noch mehr Mord und Totschlag, bei den 25 Tötungs-Aufrufen. Und es gäbe noch Sklaverei, die erst 1964 in Saudi Arabien verboten wurde, lange nachdem der böse weiße Mann das getan hat.

    Das ist hier ist ein Blog der selbstgefälligen, von Hass auf „Rechte“ zerfressenen und denkunfähigen Vollpfosten. Von der Sorte die unser gutes, freies Europa, Seit‘ an Seit‘ mit den Muslimen (die euch pseudolinke Deppen verachten und dereinst aufknüpfen werden) zugrunde richtet.
    Verflucht sollt ihr sein die ihr unser Erbe verspielt! Für das Unzählige seit Giordano Bruno gekämpft und gelitten haben. Die Perlen die ihr nicht verdient habt werft ihr vor die Säue.

    • Ulrich Berens 28. März 2017

      Am Anfang des Kommentars von „Karl Renz“ dachte ich, man könne mit ihm hier ernsthaft diskutieren. Nach dem üblen verbalen Rundumschlag am Ende ist das wohl ausgeschlossen. Der hier ins Feld geführte Voltaire (und andere) besaßen immerhin ein Gespür dafür, dass auch die religionskritische Aufklärung von einem Fundamentalismus bedroht wird. Nicht von einem Fundamentalismus der Tat, der Andersgläubige in die Luft bombt. Sondern von einem Fundamentalismus der eigenen Geisteshaltung, die denselben Fehler macht, wie die, die er hasst: Ihre Toleranz duldet nur das, was sie selbst als tolerierbar definiert hat.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert